Tee oder Kaffee

Sie saß auf dem Fußboden ihrer Wohnung, fühlte die kuschligweichen Fasern des bequemen Teppichs ihre Haut entlang streichen und genoss das schöne Gefühl frisch aus dem Urlaub zu kommen. Sie hatte in den letzten Tagen richtig mitfühlen können, wie ihr Körper sich vom Stress im Büro erholte. Die hereinbrechende Dämmerung färbte den Raum in matte Grautöne, einzig vom rötlichen Blubbern der Lava Lampe und dem fahlblauen Displayglühen der Stereoanlage erhellt. Aus eben dieser rieselten sanfte Akkorde in Ihre Gehörmuscheln. Das hatte ihr den ganzen Urlaub über gefehlt, richtige brainmusic, auf der die Sinne spazieren gehen können. Statt dessen hatte Armin sie mit ultramodernen (und unter den Tech- Yuppies total hippen) Jazzimprovisationen malträtiert.


Armin. Armin ist ein merkwürdiges Kapitel in ihrem Leben. Er liebte sie, daran bestand kein Zweifel. Nur liebte er nicht wer sie war, sondern ein Ideal, sein Traumbild einer intelligenten, vollbusigen, humorvollen Hausfrau und Mutter, in allen Belangen den Wünschen ihres Gatten folgend, völlig ohne eigene Interessen und Hobbies. Sie hasste es, wie er sie behandelte, aber im Moment konnte sie ihre Beziehung zu ihm wenigstens noch unter der Rubrik "Strategisch wichtige Allianz" ablegen, ohne sich größere Sorgen um die moralische Seite zu machen. Er sollte ihr helfen sich in den gehobenen Kreisen Kunden anzulachen, und das tat er begeistert. Er liebte es, auf Dinnerparties mit seinem kleinen Frauchen anzugeben, und so lernte sie eine Menge wichtiger Leute kennen. Außerdem hatte ein Freund mit millionen kleiner Silberlinge auf der Bank auch seine Vorteile (nicht zuletzt den dreiwöchigen Urlaub aus dem sie gerade zurückgekommen war.)


Um sich von dem Gedanken an Armin zu befreien rappelte sie sich auf und tastete sich in Richtung Bad bis sie den Lichtschalter an der Wand umlegte und ihre Augen wiedereinmal vor der unerbittlichen Blendkraft einer nackten 60 Watt Birne kapitulierten. Im Bad angelangt wusch sie sich das von der Fahrt noch rosig angehauchte Gesicht und cremte dann ihre Arme mit einer sündhaft teuren Body Lotion ein. (Die Lotion war ein Geschenk seiner Mutter zum letzen Weihnachten gewesen, dass sie ernsthaft gelangweilt bei Armins Familie verbracht hatte. So viel zum Thema "...Um sich von dem Gedanken an Armin zu befreien...") Nun ja, sie machte sich erst gar nicht die Mühe ihre Koffer auszupacken, dafür war sie eindeutig viel zu müde. Das hatte, auch bis morgen Zeit.


Würziger Kaffeeduft lies sie am nächsten Morgen zuerst wohlig schnüffeln, und dann stirnrunzelnd aufsetzen. Kaffee? Wie konnte es in einem Ein-Frau Haushalt nach Kaffe duften, wenn die eine Frau noch im Bett lag? Morgendlich zerzaust kuschelte sie sich in ihren Frotee-Morgenmantel und machte sich auf den Weg Richtung Küche. Und wer saß da, in Hemd und Krawatte, schwarzen Glattlederschuhen, wollener Anzughose und brilliantbesetzter Armbanduhr? Natürlich, Armin. Er strahlte ihr ein munteres "Wunderschönen guten Morgen" ins verquollene Gesicht. "Was machst du denn hier?" dachte sie und meinte dann zuckersüß lächelnd etwas lauter "Hallo! Was für eine schöne Idee! Das du mir Frühstück machst. Ah, und wie toll der Kaffee riecht...Ich verschwinde nur kurz im Bad, dann bin ich auch schon frisch für den Tag" flötete sie beim rausgehen. "Na toll. Was will der denn so früh schon hier? Das ist meine Wohnung, kann der nicht vorher anrufen, wie alle anderen auch? Wo ich doch ausschlafen und dann ganz gemütlich mit der Moni einkaufen gehen wollte." dachte sie bei sich. Während sie sich einer robust-wutgeladenen Katzenwäsche unterzog grummelte sie ihren morgendliches Gemurmel in den Spiegel (den sie ausnahmsweise gekauft hatte, ohne dass es ein besonderes Designerstück war, antik oder von sonst irgendeinem Mehrwert. Einfach nur weil sie die Maserung des Holzrahmens so schön fand. Wenn sie mit der nassen Hand daran entlang fuhr, waren die Rillen und Kerben des Holzes zu spüren.) Für derlei Überlegungen hatte sie heute allerdings keine Zeit. Schnell schlüpfte sie in ein luftiges Kleidchen und eilte zu ihrem Adonis mit Ananasmarmelade im Mundwinkel (und sie war sich nicht sicher, ob es nicht eben diese Marmelade war, die sie dazu verleitet hat, ihn zur Begrüßung zu küssen).


Nachdem sie das Frühstück möglichst schnell hinter sich gebracht hatte, verabredete sie sich mit ihrer Freundin Moni zum zweiten Frühstück ins "Höllerwien", einer Baguetteria in der Innenstadt. Wie es nun einmal so ist, waren alle Ampeln rot, kein Parkplatz in Sicht und sie musste ihre Schritte um einiges beschleunigen, als sie schon 10 Minuten zu spät von der Tiefgarage aus zum "Höllerwien" ging. Ihre Gedanken beschäftigten sich intensiv mit der Frage, wie sie Armin ihren Wohnungsschlüssel abnehmen konnte, ohne dass er gleich wieder davon anfing, sie solle ohnehin bei ihm einziehen, ob sie nicht ihr Leben mit ihm teilen wolle, blablabla. Sie bog um die letzte Ecke und fand sich Sekundenbruchteile später gut verpackt am Boden liegend wieder, das Gesicht feucht vom Sabber eines wie wild mit dem Schwanz wackelnden Bernhardiners. "Hasso, aus!" Hörte sie eine männliche, testosteron-triefende Stimme. Hasso gehorchte, und sie konnte beginnen sich aus der Leine zu wickeln. "Das tut mir sehr leid. Ich hoffe, sie haben sich nicht weh getan. Hasso ist mir immer ein paar Schritte voraus. Ich konnte es nicht verhindern." Hörte sie wieder die Stimme. "Jaja, schon gut. Ist ja nichts passiert. Alles wieder in Ordnung, ich muss jetzt weiter, komme eh schon zu spät." Sprach sie und Ohrfeigte sich in Gedanken sofort für den rüden Ton als sie nun in sein Gesicht schaute. Wahnsinn. Man stelle sich eine Mischung aus Jean-Claude van Damme, Dolph Lundgren, Mel Gibson und dem Sean Connery vor. Männlich markante Züge, dezente Bartstoppeln, süße Grübchen in den Mundwinkeln und die stahlblauesten Augen seit Terence Hill. Alles an ihm strahlte unbändige Kraft aus, als sprühe sie geradezu aus ihm heraus. Jetzt würde sie eindeutig lieber sagen "gehen wir zu mir, oder zu dir?" Statt dessen lächelte sie verlegen und meinte schon etwas kleinlauter "Entschuldigen sie bitte, aber ich bin sehr in Eile. Ich wollte sie gerade nicht so anschnauzen. Ich bin übrigens Clara." Sie streckte ihm neben der Hand auch noch ein ‚Hallo Süßer, lass uns spielen gehen' -Lächeln entgegen.


Er sprang voll darauf an "Hi! Ich bin der Hardy. Und ich muss mich entschuldigen. Schließlich hat sich mein kleiner Wauwi auf sie gestürzt. Darf ich sie vielleicht auf einen Kaffee einladen?" -"Tja, das ist ja sehr nett von ihnen, aber eigentlich bin ich verabredet... Ach, was solls. Moni wird es überleben. " Damit hakte sie sich bei ihm unter und versuchte diesem Kalb von Bernhardiner auszuweichen. Obwohl, so auf den zweiten Blick sah Hasso ja eigentlich doch ganz süß aus. Wie ein übergroßer, sabbernder Teddy. Und bei so einem Herrchen kann man ihn doch nur mögen...


Wie auch immer, die beiden landeten in einem stillen Kaffee abseits der Touristenpfade. Es war liebevoll auf Orient getrimmt worden, die Besucher saßen auf Teppichen und der aromatische Duft fremd anmutender Räucherpfannen lag in der Luft. Nachdem sich Clara von diesem kleinen Kulturschock erholt hatte (instinktiv hatte sie mit einem Edeltempel voller Bordüren, Spitzendeckchen und behaubten Bedienungen gerechnet. Auf den ersten Blick erschien ihr diese Teestube irgendwie heruntergekommen.), stellte sie fest, wie freundlich die Leute hier auf Hardy und seinen Hasso reagierten. Er schien hier Stammgast zu sein, konnte sogar in ihrer eigenartig hektisch klingenden Sprache sprechen. Offenkundig wurden sie zu den besten Teppichen geführt, die erste Kanne Tee wurde bereits gekocht. Sie genoss die Kühle des leicht nach Tabak duftenden Raumes und erinnerte sich ihrer Studienzeiten, in denen verrauchte Zimmer sie geradezu magisch anzogen. Räucherstäbchen und grüne Glimmstengel waren damals einfach immer dabei. Sie lächelte bei dem Gedanken dabei. Verdammt, man wird zu schnell alt. Nun blickte sie zu Hardy, der wiederum sie ansah, den Kopf leicht geneigt, als würde er sie genau taxieren, mit erfreulichem Ergebnis wohlgemerkt.


"Also, da wären wir. Na dann erzählen sie mal von sich, Hardy. Was machen sie so, wenn sie nicht gerade unschuldige Frauen einfangen?" - "Oh, nicht viel. Ich reise um die Welt, wenn sich eine günstige Gelegenheit dazu ergibt. Gerade letzte Woche bin ich aus Kenia wiedergekommen, wo ich ein halbes Jahr in einer Tierklinik ausgeholfen habe. Ansonsten bin ich nämlich Tierarzt. Weswegen es auch besonders unrühmlich ist, dass ich diesen Koloss nicht bändigen konnte." Dabei knuddelte er besagten Vierbeiner ausgiebig. "Tja, was die Standard- Daten anbelangt: Ich bin 1,96 Meter groß, 33 Jahre alt und nebenbei erwähnt Single." Das sagte er mit einem charmanten Augenzwinkern. "Und sie? Wer sind sie?" - "Wer ich bin? Gute Frage. Ich bin 27 Jahre alt und eigentlich permanent bei der Arbeit. Ich bin Art- Director bei einer hiesigen Werbeagentur. Wir machen alles. Von Eventmarketing über PR-Management bis hin zu kompletten Werbekampagnen, bundesweit in allen Medien." - "Oh. Das hört sich nach viel Arbeit an. Da haben Sie wohl nicht viel Zeit für Privatleben." - "Oh, na ja. Für den richtigen Mann muss Frau sich die Zeit nehmen.." meinte sie und nippte fast schon kokett an ihrem Glas.


Er strahlte. "Schön. Und was machen sie bei ihrer Arbeit am liebsten?" - "Das ist auch nicht leicht zu beantworten. An sich ist es Abwechslung. Man macht nie zwei Tage das selbe. Neulich erst habe ich eine Postkartenkollektion für den Berliner Zoo gemacht. Es ist unglaublich, wie Tiere auf Menschen wirken können. Wie erhaben ein Panther auf einem Baum liegen kann, mit der Gewissheit alle Wesen in seiner Umgebung mit einem Prankenhieb töten zu können, aber dabei intelligent genug zu sein die Hand, die einen füttert nicht zu beißen." - "Wem sagen sie das. Tiere sind wundervolle Geschöpfe." Einen Moment lang musste Clara über sich selbst nachdenken. Stimmt. Das war eine tolle Erfahrung gewesen. Aber hatte sie ihm vielleicht nur davon erzählt, weil er Tierarzt war? Wollte sie ihm imponieren, oder sagte sie die Wahrheit? War am Ende schon das Versteckspiel mit Armin zu ihrem echten Ich geworden? Er bemerkte ihren verschleierten Blick und wechselte sicherheitshalber erst mal das Thema. "Und, wo waren sie das letzte Mal im Urlaub?", fragte er. "Oh, ich bin erst gestern aus der Karibik wiedergekommen. Drei Wochen Sommer, Sonne, Sand und Meer. Es war wundervoll. Aber," und das sagte sie um ihn zu testen, "ich wollte schon immer mal in den Schwarzwald. Dunkle Wälder, steinige Wanderpfade und wildbachgekühlter Rotwein. DAS wärs doch mal!" - "Schwarzwald? Na dass nenn ich bescheiden. Tauscht teutonisches Strandidyll gegen regennasse Waldhütten. Hut ab. Das hätte ich ihnen nicht zugetraut. Als imageorientierte Geschäftsfrau." - "Manch stilles Wasser ist eben doch verdammt tief." - "Ach, mir fällt ein, einer meiner ehemaligen Studienkollegen hat eine kleine Hütte im Schwarzwald, irgendwo am Titisee. Wie wärs? Sollen wir dieses Wochenende dort Urlaub machen? Martin ist eh mit Kund und Kegel auf Mallorca. Das Haus steht leer!"


Zuerst freute sie sich bei der Aussicht auf ein völlig unverfängliches (na ja) Wochenende mit diesem Kraftpaket von Mann. Dann aber fand sie sich bei dem Gedanken an Armin wieder. Was also tun? Sekt oder Selters, Geschäft oder Gefühl, das war hier die Frage. (was mittlerweile auch dem gelangweiltesten Leser aufgefallen sein dürfte) Ich kenne ihn doch gar nicht, sagte die Geschäftsfrau. Aber ich mag ihn, meinte die Frau. Sie blickte in die Augen des Hundes. "Und, was sagst du dazu," fragte sie ihn. Er legte den Kopf schief und wurde so wieder einen halben Liter Sabber los, der mit einem satten ‚Platsch' auf den edlen Seidenteppich tropfte.


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